Achtsamkeit lässt die Wolken lautlos vorbeiziehen
Wie leicht ist es, an guten Tagen nur das Schöne zu sehen. Schwebt man auf Wolke sieben, kann uns nichts, aber auch gar nichts die Laune verderben. Doch beginnt einmal das Rad der Misere zu drehen, umso tiefer sinkt unsere Stimmung. Wir beginnen uns ab jeder Kleinigkeiten zu stören. Und im Nu verwandelt sich eine helle, kleine Wolke in ein tobendes Gewitter.
Zwei Wochen lang radelten wir bei prächtigem Sonnenschein den Rhein hinab. Die Natur strahlte und es war uns ein Leichtes, auch im Alltäglichen und Gewöhnlichen das Schöne zu sehen: Roter Mohn der im Weizenfeld leuchtete oder das Glitzern des Rheins im hellen Sonnenschein. Je weiter nördlicher uns der Radweg führte, umso schlechter wurde das Wetter. Aus einzelnen Wolken wurde schon bald ein grau verhangener Himmel, der sich nur selten lichtete. Unsere Route führte uns weiter dem Wattenmeer entlang, von welchem wir nicht sonderlich begeistert waren: Eine Einöde aus Grau und Braun begleitete uns in diesen Tagen.
Oh, wie falsch wir doch lagen. Nach einem stürmischen Gewitter kämpften sich vereinzelte Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke. Wir nutzten diese Gelegenheit uns auf eine Bank zu setzen, wo wir mit Zeit und mehr Achtsamkeit die Natur um uns betrachteten. Wir waren begeistert. Unglaublich, wie viel Leben das Grau und Braun doch in sich trägt: Wasservögel die sangen, pfiffen, schreiten, von Grasinsel zu Grasinsel hüpften oder übers Wasser geleiteten auf der Jagd nach Insekten und anderem Kleingetier.
Wir schallten uns: Zu stark identifizierten wir uns mit der schlechten Witterung und verschlossen unsere Fenster zur Aussenwelt. Augen, Ohren, Nasen und Tastsinn hielten wir nicht wirklich offen und konnten so die „Wirklichkeit“ auch nicht wahrnehmen. Wir schauten durch eine grauverschleierte Brille in die Welt, in der wir nicht viel mehr als graue Tristheit sahen. Ja, wir liessen die Achtsamkeit missen, die nötig gewesen wäre, um den grauen Vorhang zu heben, hinter dem sich so viel Schönheit und Leben verbarg.
Diese Erfahrung war uns eine lehrreiche Erinnerung an die Wichtigkeit eines objektiven Geisteszustandes. Wie der Meditationsmeister Mingyour Rinpoche in seinem Buch „Buddha und die Wissenschaft vom Glück“ so gut beschreibt; „erinnern wir uns selten daran, dass wir einen Schritt zurücktreten können und halten irrtümlicherweise den kleinen Ausschnitt, den wir sehen, für die ganze Wahrheit.“ Wie oft kommt es vor, dass wir uns unberechtigt behandelt fühlen, weil uns beispielsweise der Partner scharf zurechtweist. Nun könnten wir uns mit dieser „schlechten Stimmung“ identifizieren und schlechtgelaunt den weiteren Tag verbringen. Wir haben aber auch die Möglichkeit, mit Achtsamkeit den Moment wahrzunehmen und zu erkennen, dass das „Problem“ nicht bei uns liegt, sondern der Partner so reagiert, weil er einen stressigen Tag im Büro hinter sich hat.
Wir wissen, diese objektive Geisteshaltung ist einfacher beschrieben als umgesetzt. Doch die gute Nachricht ist, dass wir diesen Geisteszustand üben können. Mit einer stetigen Erforschung unseres Geistes, einem regelmässigen Meditieren, lernen wir, unser Bewusstsein im Hier-und-Jetzt ruhen zu lassen. Wir lernen, wie wir einen Schritt zurücktreten und die subjektiv gefärbte Brille ablegen können. Wir lernen, uns nicht in den vorbeiziehenden Wolken zu verlieren, sondern diese lautlos vorbeiziehen zu lassen. Und so üben wir fleissig weiter. Vielleicht können wir ja eines Tages selbst hinter den dichtesten Wolken den blauen Himmel durchscheinen sehen…