In Lettland unser Paradies gefunden
Klein aber oho. Ja, so könnte man Lettland wohl am besten beschreiben, zumindest aus unserer Sicht. Kaum mit der Fähre in Riga gelandet, zog uns dieser Baltische Staat in seinen Bann, und liess uns auch nicht mehr so schnell los. Am Kap Kolka fanden wir unser Paradies. Wochen vergingen, und noch immer hatten wir nicht genug von diesem Ort. Nicht genug von der ruhigen Energie, nicht genug vom Nichtstun, nicht genug von den farbenprächtigen Sonnenuntergängen.
Die Fähre von Stockholm nach Riga tuckerte gemütlich übers Wasser und auf dem Sunset-Deck genossen wir den Sonnenuntergang in vollen Zügen. Nach wochenlangem Radeln unter grauem Himmel spürten wir, wie gross unsere Entzugserscheinungen waren 😉
Nach 17 Stunden trafen wir schliesslich am Hafen von Riga ein. Die Stadt, die das UNESCO Kulturerbe-Siegel trägt, eroberte mit ihrem Mix aus altertümlicher Aura und frischer Jugendlichkeit unsere Herzen im Nu. In keiner Stadt Europas lassen sich so viele gut erhaltene Jugendstilgebäude finden…
…und auf wundersame Weise überlebten alle sakralen Gebäude beide Weltkriege.
Von Riga aus fuhren wir mit unseren Rädern weiter westwärts der Küste entlang. Meist führte uns die Route durch Kieferwald, vorbei an kleinen Fischerdörfern und Holzhäuschen mit wunderschön gepflegten Obst- und Blumengärten. Herrlich gemütlich, entspannt und ursprünglich empfanden wir dieses Lettland und fühlten uns so richtig wohl.
Nach drei Tagen erreichten wir das Kap Kolka, wo die Wellen der Ostsee auf jene der Rigaer Bucht schlagen und in weissen Schaumkronen enden.
Während der militärischen Sowjetzeit war die Spitze Sperrgebiet. Dass die zweite Lettische Sozialistische Sowjetrepublik vor noch nicht allzu langer Zeit, genauer gesagt 1990, ihr Ende nahm, wurde uns erst in den Gesprächen mit den Einwohnern Kolkas so richtig bewusst. Noch tief sind die Wunden, welche das Leben in Unterdrückung und Unfreiheit hinterliess. Das Bild unten zeigt das Freiheitsdenkmal im Stadtzentrum der lettischen Hauptstadt Riga, welches zu Zeiten der ersten lettischen Unabhängigkeit in den Jahren 1931 bis 1935 errichtet wurde.
Heute ist das ehemalige Sperrgebiet der kleinste, aber wohl unberührteste Nationalpark Lettlands. Hier, so wünschten wir uns, sollte ein wunderschönes Zeltplätzchen auf uns warten um einige Tage ausspannen zu können. Und wie so oft auf unserer Radreise wurde unser Wunsch nach einem schönen Rastplatz erhört. Nur wenige Kilometer vom Kap entfernt fanden wir im Kieferwald, erhöht auf einer Sanddüne eine Lichtung mit Ausblick direkt aufs Meer. Der perfekte Ort um unser Lager aufzuschlagen.
Geplant waren einige Tage des Ausspannens. Doch die Tage flossen nur so dahin und noch immer verspürten wir keinen Drang, unsere Anhänger zu laden und wieder auf die Fahrräder zu steigen. Stattdessen machten wir es uns in unserem kleinen Paradies gemütlich. Vom Meer angespült Paletten wurden in einen bequemen Liegestuhl umgewandelt und aus Sand und Schwemmholz bauten wir uns den perfekten Grill.
Dieses totale Entspannen war himmlisch. Stundenlang lagen wir in den Sanddünen, genossen die warmen Sonnenstrahlen auf unserer Haut und hörten dem leisen Meeresrauschen zu. Ab und zu spazierten wir dem endloslangen Strand entlang…
oder liessen unserer Kreativität freien Lauf.
Das Abendprogramm bestand jeweils darin, es uns auf dem Liegestuhl gemütlich zu machen und uns von den atemberaubenden Sonnenuntergängen verzaubern zu lassen.
Sobald sich unsere Proviantkiste leerte radelten wir in einigen Minuten nach Kolka und deckten uns im Dorfladen mit leckeren lettischem Fressalien ein: Schwarzbrot aus dem Lehmholzofen, eingemachtes Sauerkraut und Kohlsalat, geräucherte Würste,…
…Fische und Kvasa (ein Süssgetränk gebraut aus Schwarzbrotrinden). Zum Abschluss stöberten wir noch in der Tiefkühltruhe um eine weitere unglaublich leckere Glace-Variation zu entdecken, die wir dann vor der Rückkehr ins Paradies auf einem der vielen Holzbänkchen genüsslich schlotzten. Ja, dieser Ort tat uns einfach gut.
Nach drei Wochen des Ausruhens mehrten sich schliesslich die Zeichen, die auf Abschied standen: Sei es der Herbst, der sich mit grossen Schritten näherte – die Blätter der Birken färbten sich gelb, dicke Nebelschwaden zogen morgens übers Land, die Heidekräuter verwandelten den Waldboden in ein lilafarbenes Meer…
…und die Bewohner Kolkas feierten ihr traditionelles Sommerabschlussfest…
… – oder der Ranger, der uns höflich darauf hinwies, dass Campen im Nationalpark nicht erlaubt wäre. Wir packten unsere sieben Sachen und sagten schweren Herzens auf Wiedersehen. Wohin es gehen sollte war uns bereits klar, und zwar nach Hause. Die drei Wochen Paradiesleben, so spürten wir, waren der perfekte Abschluss unserer Reise. Hier fanden wir genaue jene Ruhe, die wir brauchten, um unser Unterwegssein in der weiten Welt zu verarbeiten. Oft reisten wir in Gedanken zurück, sei es nach Nepal, Indien oder Neuseeland und erinnerten uns dabei an die unzähligen Eindrücke. Wir liessen Erlebnisse Revue passieren und erkannten, um wie viel reicher unser Erfahrungsschatz wurde und wie viel wir als Reisende lernen durften. Als wir kurz vor unserer Abreise Stefan trafen, der seit 2007 in seinem gemütlich ausgebauten Camion inklusive Cheminéeofen durch Europa tourt (wer sich für seine Geschichte und seine Erlebnisse interessiert, findet mehr auf seinem Bog: myhomeismycar.com), überdachten wir unsere Entscheidung für eine Sekunde noch einmal. Seit rund einem Jahr waren wir nun auf Achse, da könnten wir doch locker noch weitere sechs anhängen…?!?!
Mhm, lieber doch nicht. Der Ruf der Heimat war zu stark und so zogen wir anderntags los. Natürlich liessen wir es auf unsere Heimreise nicht nehmen, noch einige weitere schöne Eindrücke in unser Lettland-Erinnerungskistchen zu packen. Malerisch und wunderbar idyllisch erlebten wir dabei das kleine Städtchen Kuldiga. Eine alte Backsteinbrücke…
…führte uns direkt in die Altstadt, wo an jeder Ecke eine gemütliche Konditorei zu einer Rast einlud.
Doch auch die alte Hafenstadt Liepaja begeisterte uns. Ganz anders als das liebliche Kuldiga hinterliessen die Sehenswürdigkeiten Liepajas – seien es der kilometerlange Sandstrand…
…die wunderschönen Sakralbauten…
…oder die Überreste der im Jahr 1902 errichtete Befestigungsanlage – einen Eindruck, den wir am ehesten mit den Adjektiven «kraftvoll, wild und imposant» beschreiben könnten.
Mehr Bilder und Impressionen von Lettland findet Ihr wie immer in unserer Fotogalerie.