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Wer spricht da bitte?

Hast du dich schon mal darauf geachtet: Ist es in deinem Kopf jemals still? Ich behaupte nein. Und kläre, wann deine innere Stimme dich gesund, und wann sie dich stresst bis krank macht.

Stell dir mal vor: du steigst in den Zug und nimmst neben einer sympathisch wirkenden, jungen Frau Platz. Plötzlich beginnt diese laut zu sprechen. Zu sich selbst – wie es scheint. Manchmal wirres Zeug. Dann nur einige Wortfetzen. Teilweise kannst du einen Zusammenhang herstellen. Ich behaupte mal, du wirst dich von der einen auf die andere Sekunde nicht mehr wohl fühlen. Nach dem Motto: «Oje, diese Frau hat mentale Probleme. Oder hat sie was Falsches eingeworfen? Wie auch immer, ich bin froh, wenn ich bald aussteigen kann.»

Von der Normalität zum Tabu

Selbstgespräche sind in unserer Gesellschaft tabu, sofern Mann und Frau das frühe Erwachsenenalter erreicht haben. Tun es Kindern, dann finden wir es mehrheitlich süss. Sie erzählen Geschichten, fantasieren und erfinden. Wir hören ihnen gern zu. Lew Wygotski, ein russischer Psychologe, der Anfang des 20. Jahrhundert darüber geforscht hatte, nennt dies das «egozentrische Sprechen». Seine Theorie: das egozentrische Sprechen sei ein Werkzeug der Gedanken, um Lösungen auf Probleme zu finden.

Doch dann kommt ein Wendepunkt, wo sich dieses «Laut-mit-sich-sprechen» nicht mehr gehört. Im Schulalter beginnen wir zu verstummen. Im Aussen zumindest. Wirklich still wird es niemals. Das Selbstgespräch geht weiter. Im Untergrund, in Form unserer inneren Stimme.

Die innere Stimme – nicht alle hören sie

Für Lew Wygotski war klar: die innere Stimme hat dieselbe Funktion wie das egozentrische Sprechen bei spielenden Kindern. Sie helfe dabei, Dingen einen Zusammenhang zu geben, Pläne zu schmieden, Herausforderungen anzugehen und Lösungen auf Probleme zu finden.

Heutzutage forschen Professoren für Psychologie dazu. Keine einfache Angelegenheit. Denn eben: die Stimme hat sich in den Untergrund verzogen, und spricht – mehrheitlich unbewusst. Das stellt die Forschenden vor grosse Herausforderungen. Sie können den Menschen weder in den Kopf schauen, noch mithören. Der einzige Weg zur inneren Stimme ist, die Menschen danach zu fragen und zu hoffen, sie erinnern sich richtig und erzählen davon wortgetreu.

Der Psychologieprofessor Russell T. Hurlburt von der University of Nevada forscht zu diesem inneren Erleben und schätzt: die Mehrheit der Menschen – rund etwa drei Viertel – erleben keine innere Rede. Ob sie sich selbst nicht genug zuhören oder ob sie wirklich keine innere Stimme haben, kann nicht abschliessend geklärt werden. Ein Drittel hört Monologe, oder ganze Gespräche.

Treue Freundin oder harter Kritiker?

Was Untersuchungen jedoch klar nachweisen: beim inneren und äusseren Sprechen werden dieselben Hirnareale aktiviert. Über das «Wie» bzw. die Qualität der inneren Stimme sagt dies jedoch nichts aus. Jede innere Stimme spricht anders. Grob kann man die inneren Stimmen als treue Freundin oder Begleiter bezeichnen, die uns gut zu sprechen, zielstrebig nach einer Problemlösung suchen und uns so zu Höchstleistungen anspornen. Daneben gibt es den harten Kritiker oder die Zweiflerin, die uns kleinreden, die Herausforderungen des Lebens als aussichtslos darstellen und uns je nach Ausprägung gar krank oder deprimiert werden lassen.
«Selbstgespräche haben einen enormen Einfluss darauf, wie wir Herausforderungen bewältigen und unseren Alltag meistern», bringt es US-Neurowissenschaftler Dr. Ethan Kross in seinem Buch «Chatter – Die Stimme in deinem Kopf», auf den Punkt.

Destruktives Geplapper oder wertvolle Impulse?

Die innere Stimme kann in einem endlosen, negativen Kopfgeplapper ausarten, und uns stressen – körperlich und mental. Gleichfalls trägt die innere Stimme das Potenzial in sich, uns zu motivieren, zu begeistern und wertvolle Impulse für unser Wohlbefinden zu schenken.

Es braucht also in einem ersten Schritt Bewusstheit: ist die Stimme, die jetzt in meinem Kopf sprich…

  • gut zuredende Freundin, pushender Motivator und treue Wegbegleiterin
  • oder hartnäckiger Zweifler, innere Widersacherin und kleinredender Kritiker

Falls letzteres zutrifft, habe ich dir hier einen Werkzeugkasten parat, der hilft, die Negativspirale zu durchbrechen.

  1. Distanz schaffen. «Wenn wir einfach mal einen Schritt zurücktreten, nimmt auch die Stimme in unserem Kopf einen anderen Tonfall an.» Gleichfalls dämpft es negative Gefühle und Stress, weil die emotionale Aktivität im Gehirn abnimmt.
  2. Spreche dich selbst mit Namen an. Wie zum Beispiel:  «Martin, jetzt bist du wieder in deiner ‘Ich bin nicht gut genug Geschichte’ gefangen.»
  3. Eine weitere wirksame Technik sind mentale Zeitreisen. Wenn man gerade eine schwierige Phase durchmacht, hilft es, sich von der Gegenwart zu lösen und zu fragen: «Wie denke ich in 10 Jahren darüber?» Das führt die Vergänglichkeit belastender Gedanken-Karusselle vor Augen und öffnet den Weg, unsere Gedanken in eine positive Richtung zu lenken.

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