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Vipassana: Die Dinge sehen wie sie wirklich sind

Vipassana ist eine der ältesten Meditationstechniken Indiens und wurde bereits vor 2500 Jahren von Gotama, dem Buddha, gelehrt. In einem rund 10-tägigen Vipassana-Kurs durften wir diese wundervolle Art der Selbstreinigung am eigenen Leib erfahren. Der Kurs war kein Zuckerschlecken: Ein strenger Zeitplan mit Meditationsstunden von morgens früh um 4:00 Uhr bis abends spät um 9:00 Uhr musste eingehalten werden, Sprechen oder Lesen war nicht erlaubt und das Abendessen bestand lediglich aus einer Tasse Tee und einer Frucht.

Gespannt und auch etwas nervös trafen wir am Anreisetag im Vipassana Zentrum auf dem Penang Hill ein. Da Frauen und Männer für die Dauer des Kurses in separaten Räumen zu Essen und Schlafen hatten, trennten sich unsere Wege am Eingangstor. Die Frauengruppe (im Bild unten) wie auch die Männergruppe war ein angenehmer Mix aus Jung und Alt, aus Weltreisenden wie auch Malaysierinnen und Malaysiern.

Es folgte eine ausführliche Registrierung, bei der den Teilnehmern alle Do’s und Dont’s der kommenden 10 Tage im Detail erläutert wurden. Einige Regeln wie kein Alkohol, keine Drogen, nicht Töten oder Stehlen bereiteten uns wenig Mühe, andere Vorgaben wie kein Sprechen, kein Lesen oder dem strikten Einhalten des strengen Tagesprogrammes bereiteten uns dann doch etwas Kopfzerbrechen.

Tag 1 begann wie angekündigt um 4 Uhr morgens mit dem «Wake-up Call». Eine halbe Stunde später sassen wir still schweigend und in uns gekehrt in der Meditationshalle. Am Ende der Halle, etwas erhöht, war uns gegenüber der indische Lehrer Mr. Pavin positioniert, der unsere Übungseinheiten stets peinlich genau und streng dreinblickend kontrollierte. Im Laufe des Kurses wuchs uns Herr Pavin jedoch immer mehr ans Herzen. Unglaublich fitte und vive 78 Jahre alt, wie wir am Ende des Kurses erfuhren, hatte der Meditationslehrer bei den persönlichen Interviews immer ein Lächeln auf dem Gesicht, erklärte geduldig was Vipassana ist und sparte auch nicht mit Lob: «Roger, I’m very happy with you. You do very good progress» oder «Lea, you exercise very good. You work very properly».

Die erste Meditationseinheit an Tag 1 dauerte für uns eine halbe Ewigkeit und bereits meldeten sich der Rücken und die Knie mit schmerzenden Muskeln und Gelenken. Ja, zwei Stunden am Boden auf einem Meditationskissen zu sitzen ist wenig komfortabel. Und auch das konzentrierte Meditieren über mehrere Stunden mit nur kurzen Pausen zwischendurch empfanden wir zu Beginn als eine grosse Anstrengung. Völlig platt und abgekämpft schleppten wir uns schliesslich zur abendlichen Teepause und fragten uns eins ums andere Mal, warum wir uns dies auch nur freiwillig antun und wie wir die kommenden 9 Tage überleben sollten…Nun, um es bereits vorneweg zu nehmen: wir überstanden den Kurs je nach Tagesform mehr oder weniger gut, sind wohlauf und haben, soweit wir es bis jetzt beurteilen können, keinen grösseren Schaden genommen 😉

Auf Tag 1 folgte Tag 2, auf Tag 2 kam Tag 3…alle glichen sich mit demselben Ablauf wie aufs Haar: Früh aufstehen und zwei Stunden meditieren, nach dem Frühstück ein kurzes Nickerchen, bevor der Vormittagsblock startete, danach ein leckeres, von den Chinesischen und Koreanischen Helferinnen zubereitetes Mittagessen mit anschliessendem Mittagsschlaf, es folgte der Nachmittagsblock, eine kurze Teepause und kurz darauf die Abendlektion. Wir Teilnehmer jedoch lehrten von Tag zu Tag hinzu und verstanden uns immer besser in der Vipassana Meditationstechnik. Diese legt den Schwerpunkt auf die Selbstbeobachtung, indem die Meditierenden von Kopf bis Fuss jeden Körperteil im Geiste abtasten und Empfindungen auf der Haut – ein schmerzendes Ziehen da, ein Kribbeln dort, Leichtigkeit oder Wärme hier – erspüren. Wichtig ist es dabei die Position eines Beobachters einzunehmen und den angenehmen Gefühlen wie auch den unangenehmen Gefühle (und diesen begegneten wir in den 10 Tagen zur genüge 😉 mit «Equanimity» zu begegnen. Das heisst neutral, urteilslos die Empfindungen wahrnehmen und bei unangenehmen Gefühlen keine Abneigung («Aversion») und bei angenehmen Gefühlen keine Überschwänglichkeit oder ein Verlangen nach mehr («Craving») aufkommen lassen. Das tägliche Meditationspensum von insgesamt zehn Stunden war zwar sehr hart, doch schon bald konnten wir Fortschritte erkennen: Der Geist ging nicht mehr alle Minuten auf Wanderschaft und hing anderen Gedanken nach, und auch die körperlichen Empfindungen auf der Haut wurden detailreicher, konkreter und klarer.

«Equanimity», «Aversion» und «Craving» waren dann auch Wörter, die regelmässig in den allabendlichen Videovorträgen mit S.N. Goenka (auf Youtube lassen sich viele Videos mit Herr Goenka finden, hier erläutert er beispielsweise was Vipassana ist), dem aktuellen Leiter der Internationalen Vipassana Academy, fielen.

Gespickt mit witzigen Anekdoten und Geschichten, erläuterte uns Herr Goenka Vipassana als eine Kunst des Lebens, als eine Technik, die den Geist von Grund auf reinigt, als ein universelles Heilmittel gegen universelle Krankheiten. Der Weg der Reinigung und Selbstveränderung führt über die Selbstbeobachtung und nutzt die enge Wechselbeziehung von Körper und Geist. Indem wir unsere Empfindungen mit grosser Achtsamkeit erforschten, ihr kommen und gehen beobachteten und diesen gegenüber mit Neutralität begegneten, konditionierten wir unser Verhaltensmuster um, weg von den unglücksbringenden Gefühlen wie Abneigung und Verlangen, hin zu mehr Besinnung. Wir erfuhren am eigenen Leib, wie der Schmerz kam und ging, wie vergänglich dieses Gefühl war. Und dass es keinen Sinn hatte, diesem mit Abneigung, mit «Aversion» nachzuhängen. Oder wir spürten ein herrliches Kribbeln am ganzen Körper, das so schnell ging wie es wieder kam, und erkannten, dass es keinen Sinn hatte, diesem mit einem Verlangen nach mehr, mit «Craving» nachzuhängen. Denn, so erläuterte uns Herr Goenkea, genau diese Muster führen in eine Spirale der Misere und des Unglücks. Täglich erfahren wir unzählige angenehme und unangenehme Situationen, das lässt sich nicht ändern. Ändern können wir jedoch unseren Umgang mit diesen, unser Verhaltensmuster. Nach Vipassana heisst dies im Alltag stets Achtsamkeit und Neutralität walten zu lassen, auf Situation nicht blind zu reagieren, sondern mit klaren Gedanken und einem ausgeglichenen Geist zu agieren. Und dies übten wir fleissig, Stunde um Stunde…

Unser Fazit: Es waren sehr lehrreiche Tage, die wir nie mehr missen möchten. Zwar wünschten wir uns zwischenzeitlich immer wieder mal an einen gemütlichen Sandstrand zurück. Insbesondere in den Stunden wo «Strong Determination» angesagt war. Dann hiess es nämlich für 60 Minuten weder die Beine noch die Arme zu bewegen. Und da kam es des Öfteren vor, dass uns vor Schmerzen die Schweisstropfen über die Stirn liefen. Doch die Erfahrung am eigenen Leib, wie vergänglich solche Situationen sind und wie elegant wir diese mit einem ausgeglichenen Geist, aus der Position des Beobachters meistern können, möchten wir nicht wieder hergeben. Auch empfanden wir Reglen, wie beispielsweise die 10 Tage zu schweigen oder nicht zu lesen als überaus angenehm. Mit der Zeit breitete sich eine grosse Stille im Kopf aus, einen inneren Frieden, was wir so noch nicht erleben durften. Wir sind begeistert von Vipassana und meditieren nun täglich morgens und abends eine Stunde, denn mit der Absolvierung des zehntägigen Kurses nahmen wir erst einen kleinen Schritt auf einem langen, noch vor uns liegenden Weg.

Wer sich für Vipassana und einen solchen Meditationskurs interessiert (wir empfehlen diesen allen und jedem wärmstens), der findet mehr Informationen auf der Webseite des Schweizer Vipassana Zentrums in Mont Soleil, das übrigens einen ausserordentlich guten Ruf geniesst.

Seit drei Tagen sind wir nun wieder im «normalen» Leben unterwegs und reisten von der Insel Penang nach Kuala Lumpur. Eine coole Stadt, wie wir nach einem ersten Reizüberflutungs-Schock fanden. Skylines wie die Twin Towers gaben uns das Gefühl als kleine Zwerglein durch die Welt zu spazieren…

…und sobald es dunkelte begann die Stadt in allen Farben zu leuchten.

Von Kuala Lumpur aus bestiegen wir schliesslich das Flugzeug in Richtung Borneo. Hier freuen wir uns nun auf Natur pur und Abenteuer in der Wildnis Malaysias.

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